Eine Impfung soll die Alzheimer- Epidemie stoppen

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Alzheimer

Seit Jahrzehnten arbeiten Forscher an einem Medikament gegen Alzheimer – bisher erfolglos. Jetzt gibt es eine große Hoffnung: biotechnologisch hergestellte Antikörper bringen das Erinnern zurück.

 

Manchmal kam ihr Mann nicht ein-, nicht zweimal, sondern dreimal am Tag im Laden von Angelika Fuls vorbei. Jedes Mal hatte er seine früheren Besuche schon vergessen – und auch, wo er vorher gewesen war. Aber seine Frau wusste es auch so.

Er hatte nacheinander alle Orte aufgesucht, die ihm wichtig waren und an die er sich noch erinnern konnte, war vom Mexikoplatz im Berliner Bezirk Zehlendorf bis zur Königin-Luise-Straße gelaufen, hatte in der Nähe seiner alten Schule einige Fotos geschossen. War dann weitermarschiert zur Rechtsanwaltskanzlei eines Schulfreundes, mit dem er eine Tasse Tee getrunken hatte. Danach kreuzte er in dem Laden seiner Frau auf, in dem sie Wohnaccessoires verkaufte.

Später würde er mit der S-Bahn nach Hause fahren. Ohne Ticket, wie jeden Tag. Wie hatte er getobt, als er erfuhr, dass er krank sei und deshalb nicht mehr Auto fahren durfte. Eine Beleidigung für den Mann Anfang sechzig, der lange sehr erfolgreich gewesen war: eigenes Architekturbüro, ein sehr guter Golfer, ein sehr guter Segler. Zu Hause standen die Auszeichnungen, die zeigten: Thomas Fuls ist einer, der immer alles schafft.

 

„Er verstand es nicht“

Als er zusammen mit seiner Frau im Jahr 2002 aus der Arztpraxis gekommen war, auf einem Zettel die Diagnose „fronttemporale Demenz“, da weinte Angelika Fuls. Ihr Mann aber schaute sie nur verwundert an. Was sie denn habe? Er nehme jetzt ein paar Wochen die Tabletten und dann sei er doch wieder gesund. „Er hat gar nicht verstanden, dass es keine Heilung gab“, sagt sie.

Mehr als 50 verschiedene Krankheitsbilder fallen unter den Begriff Demenzerkrankungen. Am bekanntesten ist die Alzheimer-Erkrankung, unter der zwei Drittel aller Patienten leiden.

Demenzerkrankungen verlaufen ganz unterschiedlich, enden aber alle am selben Punkt: dem Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit. Bei der primären Demenz, die nicht Folge anderer Erkrankungen ist, sterben im Gehirn Nervenzellen ab, eine nach der anderen, unaufhaltsam.

Je nachdem, welche Hirnregion betroffen ist, versagt zunächst die Orientierung oder die Sprache oder, wie bei Thomas Fuls, der Bereich hinter der Stirn, dafür zuständig, vorauszuplanen und sich in sozialen Situationen angemessen zu verhalten. Am Ende aber steht immer der Verlust des Gedächtnisses.

 

Ist eine Ende der Epidemie in Sicht?

Bisher war keine Heilung in Sicht, die Veränderungen im Kopf ließen sich nur etwas bremsen. 1,5 Millionen Menschen leben derzeit in Deutschland mit einer Demenzerkrankung – und diese Zahl wird sich bis 2050 verdoppeln. Weil Frauen älter werden als Männer, sind sie weitaus häufiger betroffen. Die Krankheit ist eine Katastrophe für jeden Betroffenen und seine Familie. Aber auch für die Volkswirtschaft: Aus jedem Demenzkranken wird irgendwann ein Pflegefall. Doch jetzt gibt es Hoffnung. Forscher glauben, vor einem Durchbruch zu stehen: Eine Impfung gegen das Vergessen könnte die Epidemie des Altersleidens bremsen – und ihr vielleicht sogar ein Ende setzen.

Um das Vergessen zu stoppen, wollen Forscher das menschliche Immunsystem nutzen. Als Impfstoff dienen dabei Antikörper, wie sie auch das Immunsystem des Körpers selbst herstellt, wenn es sich angegriffen fühlt. Allerdings erzeugt man diese Antikörper im Labor und schleust sie dann in das Blut der Venen ein. Im Gehirn sollen sich diese künstlichen Antikörper gegen jene Stoffe richten, die Alzheimer und verwandte Demenzerkrankungen auslösen. Diese Impfung unterscheidet sich von denen, die man vom Hausarzt kennt: Sie führt nicht dazu, dass der Körper selbst aktiv Antikörper produziert. Er nimmt sie lediglich von außen auf und akzeptiert, dass sie im Immunsystem mitmischen. Das bedeutet, dass die Antikörper nur so lange gegen das Vergessen wirken, wie sie verabreicht werden. Pharmakologen sprechen deshalb von einer passiven Immunisierung.

 

Zuerst funktionierte es nur bei Mäusen

Doch lange Jahre ließ sich diese brillante Idee in den Laboren der Wissenschaftler nicht umsetzen. Das amerikanische Unternehmen Pfizer war das erste, das 2007 mit einem künstlichen Antikörper namens Bapineuzumab im Tierversuch für Furore sorgte. Er sorgte bei dementen Mäusen dafür, dass die Ablagerungen von Beta-Amyloid im Gehirn verschwanden – jene Eiweißablagerungen, die schon Alois Alzheimer, der Entdecker der Alzheimer-Erkrankung, als Charakteristikum der Erkrankung beschrieben hatte. Bapineuzumab heftete sich an diese Ablagerungen und löste sie einfach auf. Es war eine Sensation, die Hoffnung machte. Doch die nachfolgenden klinischen Studien enttäuschten: Bapineuzumab hatte zwar den dementen Mäusen helfen können, bei den Patienten gelang das im Rahmen der Studien aber nicht.

Im Gegenteil: Bei einigen beobachteten die Forscher in Hirnscans, dass sich als Folge aufgelöster Amyloid-Ablagerungen kleine Wassereinlagerungen im Gehirn bildeten. Diese lösten Schwindel und Kopfschmerzen aus, weshalb die Firmenforscher dann auch die Dosis des Wirkstoffs halbierten. Doch die Wissenschaftler bekamen das Problem nicht in den Griff. Pfizer stellte die Entwicklung schließlich ganz ein.

 

Niemand weiß, was die Krankheit auslöst

Die Entwicklung dieses ersten Impfstoffes fiel in die Zeit, als sich die Demenzerkrankung von Thomas Fuls nicht mehr übersehen ließ. Anfangs waren es nur Kleinigkeiten gewesen, die schiefliefen und die andere schmunzeln ließ. So vergaß Thomas Fuls zum Beispiel, zum Golf-Turnier seine Schuhe mitzunehmen. Später aber verlief er sich immer öfter beim Spazierengehen, kaufte ständig neue Medikamente in der Apotheke ein, verließ Kaufhäuser, ohne zu bezahlen, weigerte sich, seine Kleidung zu wechseln. In zehn Jahren würde es wohl ein Medikament geben, hatte man Angelika Fuls damals gesagt, als sie sich verzweifelt an die Ärzte wandte. „Was hätte ich dafür gegeben, dass es etwas gegeben hätte, um ihm zu helfen“, sagt sie. Dass es bis heute kein Medikament gibt, hat vor allem einen Grund: Man hat noch immer nicht verstanden, was Alzheimer und verwandte Demenzerkrankungen verursacht. Im Gehirngewebe der Patienten gibt es zwar eine Reihe typischer Veränderungen, doch ob und welche davon tatsächlich Ursache oder nur Begleiterscheinung der Erkrankung sind, weiß man nicht.

 

Amyloid- und Tau-Ablagerungen

Was man weiß, ist, dass nach und nach Nervenzellen im Gehirn absterben – bis zu ein Fünftel aller Zellen können das im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit sein. Außerdem ist die Kommunikation zwischen den verbleibenden Nervenzellen gestört. Beides zusammen führt zu dem für die Erkrankung typischen Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit. Die typischen Veränderungen, das sind vor allem die sichtbaren Amyloid-Ablagerungen, die schon lange bekannt sind. Aber auch weitere, aus einem anderen, dem Tau-Protein bestehende faserförmige Ablagerungen sind charakteristisch, wie Forscher erst vor einiger Zeit herausfanden. Normalerweise arbeitet das Tau-Protein wie eine Eisenbahnschiene, die den Nervenzellen dabei hilft, Moleküle hin und her zu transportieren.

Bei einer Demenzerkrankung aber brechen die Stränge des Eiweißes zusammen und verwirren sich: Die Zelle stirbt. Inzwischen vermuten Wissenschaftler, dass Amyloid ein Risiko darstellt, das die spätere Ablagerung von Tau beschleunigt. Die Kombination beider wäre demnach eine mögliche Ursache.

 

Pfizers wegweisendes Scheitern

Der Versuch mit Bapineuzumab, das weiß man in der Rückschau, misslang wohl, weil Pfizers Antikörper sich nur auf die festen Amyloid-Ablagerungen konzentriert hatte. „Obwohl die Firma Millionen in den Sand gesetzt hat, war ihr Scheitern wegweisend“, sagt Thomas Bayer, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Psychiatrie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Göttingen. Denn nur aufgrund des Misserfolgs nahmen Wissenschaftler wie auch Thomas Bayer ein anderes Ziel in den Blick: zu Ketten verhakte Amyloid-Moleküle, die löslich und giftig für Nervenzellen sind. Sie behindern ebenfalls den Austausch der Nervenzellen und zerstören die Zellen. Nur aufgrund des Misserfolgs visierten Wissenschaftler wie auch Thomas Bayer das verhakte Amyloid-Beta an, um das Vergessen zu stoppen.

 

Selbstverteidigung gegen das schrittweise Vergessen

Auf die Idee kam man, weil das Immunsystem mancher Menschen, die sehr alt werden, ohne an Demenz zu erkranken, auf natürliche Weise diese löslichen Amyloid-Ketten bekämpft. Basierend auf diesem Selbstverteidigungsmechanismus hat Thomas Bayer zusammen mit seinem Forschungsteam einen Antikörper gegen die Ketten entwickelt.

Dieser unterband im Labor bei dementen Mäusen tatsächlich erstmals überhaupt den Nervenzellabbau. Die eigentlich demenzkranken Tiere erinnerten sich in den Versuchen wieder an eine rettende Insel in einem Wasserbecken und schwammen zu ihr hin – ihr Gedächtnis nahm also seine Funktion wieder auf. Immer wieder verschwanden auch die Amyloidablagerungen in ihrem Gehirn.

Die britische Forschungsorganisation Medical Research Council Technology hat jetzt eine Lizenz zur Herstellung des Antikörpers für den Menschen erworben. Für Thomas Bayer Grund für Optimismus. „Antikörper gegen neurodegenerative Krankheiten werden kommen. Das ist gar keine Frage“, sagt er. Es gebe, abgesehen von seinem Antikörper, inzwischen einige Dutzend weitere Kandidaten in klinischen Studien.

 

Antikörper verlangsamen Demenz zum 34 Prozent

Ein vielversprechender ist Solanezumab, ein Antikörper des US-Pharmaunternehmens Eli Lilly, der schon über das Stadium des Tierversuchs hinausgekommen ist. Er bindet ebenfalls nur lösliche Beta-Amyloidstrukturen und macht sie unschädlich, ignoriert aber feste Ablagerungen. Zwei klinische Untersuchungen hatten bereits zeigen können, dass der Antikörper den kognitiven Abbau bei Patienten mit einer milden frühen Alzheimerschen Demenz um 34 Prozent verlangsamt. Nun läuft eine Studie an einigen Tausend Patienten. Im kommenden Jahr erwartet das Unternehmen die Ergebnisse. Auch der Hirnforscher Roger Nitsch von der Universität Zürich ist begeistert von den Erfolgen, die es mit den Antikörpern derzeit gibt. „Das ist sicher einer der wichtigsten Ansätze für die nächsten Jahre“, sagt er. So wie seine Kollegen konzentriert er sich nicht auf feste Amyloid-Ablagerungen, sondern auf die zu Ketten verhakten Amyloid-Moleküle. Zusammen mit seiner Forschergruppe und dem amerikanischen Unternehmen Biogen hat er den Antikörper Aducanumab entwickelt, der in einer Studie an 166 Patienten mit milder Demenz erstmals überhaupt die Amyloidplaques fast vollständig abbauen konnte und den kognitiven Abbau verlangsamte.

 

Bisher gibt es noch Nebenwirkungen

Eigentlich sollte in dieser Studie zunächst nur die Sicherheit der Substanz geprüft werden. Nebenbei gingen aber auch die geistigen Fähigkeiten der Patienten, die den Antikörper ins Blut gespritzt bekamen, deutlich langsamer verloren. Gerade in Alltagssituationen, in denen sie sich Gesagtes merken sollten, schlugen sie sich besser. Bei einigen Patienten beobachtete man aber, wie auch schon bei Pfizers Bapineuzumab, Wassereinlagerungen. Zudem litten 22 Prozent der Teilnehmer dadurch unter Kopfschmerzen. Die Wissenschaftler sind aber optimistisch, dieses Problem zu lösen. Thomas Fuls wird das nicht mehr helfen können. Als seine Frau Angelika realisierte, dass es kein Medikament gab, das ihn hätte unterstützen können, mobilisierte sie andere, ganz praktische Kräfte. Schreitet die Krankheit fort, sind immer mehr Regionen im Gehirn betroffen. „Ich habe Freunde und die ganze Familie eingeweiht, damit alle helfen konnten, dass ihm nichts zustößt, und sie verstehen, wenn er bizarre Dinge tut“, sagt sie. Sie engagierte einen Studenten, der auf ihn aufpasste, wenn er herumspazierte – Thomas Fuls glaubte, der Student sei ein Freund der Tochter, dem er die Stadt zeigen sollte. Sie überzeugte den Apotheker, ihrem Mann nur noch Traubenzucker zu geben, wenn er wieder Medikamente haben wollte. Und sie kaufte alle neuen Kleidungsstücke doppelt. Während ihr Mann schlief oder duschte, tauschte Angelika Fuls heimlich die alten Sachen gegen frische aus. Irgendwann aber überstieg alles ihre Kräfte – sie gab ihren Mann ins Heim. „Es war schwer zu ertragen“, sagt sie. „Aber ich musste mich damit arrangieren.“

 

Ein anderes Angriffsziel

Dass der Alltag von Demenzkranken und ihren Familien künftig anders aussieht, daran arbeitet auch Alfred Hahn, Forschungsleiter der Neurologie vom Unternehmen Abbvie in Ludwigshafen. Er ist allerdings skeptisch, ob die löslichen Beta-Amyloide im Gehirn die richtige Zielscheibe für eine Impfung gegen Alzheimer sind. Das Unternehmen AbbVie hat sich für einen anderen Angriffspunkt entschieden: die Ablagerungen des Tau-Proteins. Noch gibt es keine veröffentlichten Daten zur Wirksamkeit, aber Hahn glaubt, dass man mit Tau als Angriffsziel für einen Antikörper auf dem richtigen Weg ist. Dass das Protein auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie der parkinsonschen Krankheit eine Rolle spielt und damit nicht für Demenzerkrankungen spezifisch ist, ist dem Unternehmen nur recht. Schließlich verbreitert es das Anwendungsspektrum eines potenziellen Medikamentes. Auch einige amerikanische Unternehmen entwickeln derzeit Tau-Antikörper.

Das Gehirn schrumpft im fortgeschrittenen Stadium

Hahn glaubt, dass biotechnologisch hergestellte Antikörper vermutlich vor allem in der Kombination sehr gut wirken könnten. Man werde wohl künftig sowohl Antikörper gegen Amyloid-Beta verabreichen als auch Antikörper gegen Tau. So wie es mit Amyloid und Tau zwei mögliche Ursachen für Alzheimer gebe, gäbe es auch zwei Behandlungsmöglichkeiten. Thomas Bayer, der Psychiater aus Göttingen, teilt die Prognose. Er hofft auf eine Zulassung des am weitesten entwickelten Antikörpers Solanezumab. „Wenn er durchkommt, wird es eine Lawine von Neuzulassungen geben, und auch andere Firmen werden sich ermutigt fühlen, ihre Entwicklungen an Antikörpern weiterzutreiben.“

Angelika Fuls würde es den vielen kranken Menschen sehr wünschen. Dann müssten ihnen Ärzte nicht mehr sagen, dass es auf absehbare Zeit kein Medikament gibt – wie ihr damals. Ihr Mann starb 2011, mit 65 Jahren. Die mittlere Überlebenszeit bei seiner Demenzerkrankung liegt bei rund acht Jahren, der kämpferische Mann hielt zehn Jahre durch. Dennoch tat seine Krankheit, was sie immer tut: Sie ließ ihn alles vergessen. Am Ende auch seine Frau.

Quelle: www.welt.de/gesundheit/article155645438/Eine-Impfung-soll-die-Alzheimer-Epidemie-stoppen, von Susanne Donner

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